Der lichte Tag musste draußen bleiben. Vergeblich versuchte er sich über die Friedhofsmauer unbemerkt durch die vergrauschleierten Gardinen hinein zu schlängeln in das Wohnzimmer, das vor langer Zeit einmal mondän gewesen war. Um dem Jungen darin beizustehen, ihm Leichtigkeit um die Nase zu hauchen. Damit er zuversichtlich bliebe, bald schon von seinem Martyrium befreit zu sein.
Noch saß Panaiotis am Klavier neben Herrn Würschtle. Herr Würschte war derart steinalt und dass dessen Spaghetti dürrer Körper überhaupt noch Lebendigkeit durch sich fließen lassen konnte, beeindruckter die ganze Kirchengemeinde des Dorfest. Für diese pflegte der alte Herr immer noch sonntags in der Kirche zu orgeln.
Panaiotis Mutter wünschte sich für ihren Sohn so sehr, dass dieser später einmal ein Gegengift haben würde, wenn die eigenen Verwirrtheiten über die Existenz einem die Sinne verstockten. Um sich gar nicht lange aufhalten zu müssen, mit Lebensüberdrüssigkeiten und Gedanken an frühzeitiges Sterben. Einfach ans Klavier gesetzt und all dem Schwermütigen während der Pubertät flugs ein Ende bereitet. Sie selbst hatte keine solche Gegenwehr in petto. Emma konnte nicht einfach so zurück in das Gelächter der Welt und zuversichtlich der Wahrheit vertrauen, die doch geduldig neben einem abwartet und vielleicht ein bisschen darauf gespannt ist, wann man sie finden würde. Emma musste viele Umwege gehen, der mit der schärfsten Kurve war einen Tablettenvergiftung, die sie beinahe aus dem Leben getragen hätte.
Von diesem mütterlichen Anliegen wussten aber die zahlreichen Tropfen nichts, die dem betagten Herrn Würschtle ständig aus der Nase flossen. Wenn der Junge als Pech hatte, landete der farbenfrohe Glibber ausgerechnet auf dem Cis, das der Klavierspieler laut Notenblatt zu spielen hatte. Es machte sogar den Anschein, dass der kecke Schleim inzwischen besser Noten lesen konnte, als Panaiotis und sich einen Spaß daraus machte, vor dessen Fingern auf dem hölzernen Weiß und Schwarz zu landen. Der Zehnjährige mit der Griechischen Nase und den abstehenden Ohren würde dem Sekret umstandslos seinen Landeplatz gönnen. Wenn er nicht jedes Mal von Herrn Würschtle mit dessen knorrigem Ast von Ellbogen in die Seite gestoßen werden würde. Sobald Panaiotis es natürlicherweise vermied, die bekleckerten Tasten anzuschlagen und die falsche Töne bevorzugte.
Aber heute war die Klavierstunde besser aushaltbar, denn Panaiotis hatte etwas zu beobachten, das den Ärger mit Herrn Würschtle in die hintere Reihe drängte. Sollte der strenge Alte doch bald der Mutter die musikalische Unfähigkeit des Sohnes berichten. Sie würde enttäuscht sein und Panaioitis erlöst.
Draußen streifte also ein Mädchen in Panaiotis Alter um die Gräber. Sie trug eine merkwürdige Kopfbedeckung, eine Art Helm aus Leder, der die Augen durch Riemen hindurch blicken ließ, das weitere Gesicht aber verdeckte. Nur blonde Locken konnten darunter noch hervor quellen. Der Junge kannte dieses Geschöpf flüchtig aus der Schule, konnte sich aber kaum noch erinnern, wie es unter deren Kopfschutz aussah, den es seit einigen Wochen ständig trug. Meistens hatte dieses Mädchen, von dem er glaubte, dass man es Smilla ruft, ein Bündel dabei. Aus dem es verwirrende Dinge hervorzauberte. Heute sind es Hölzer und Stöckchen, Wurzeln und unbekannte Brocken. Diese verteilt das Mädchen nach keinem offensichtlichen Prinzip auf den Gräbern, heult kauderwelschige Sätze in den Himmel, bis sie diese Opfergaben, was sollten diese Dinge sonst auch sein, in Rauch aufgehen ließ …