“ In der echten Welt hat man neuerdings wieder Joggingkombis anzuziehen“, wenn du zu den „Cheatern“  dazugehören willst!?!.“

Man schnappt ja als Mutter eines aktuell 14-Jährigen nach jeder außerpragmatischen, nur dem reibungslosen Funktionieren des Alltags betreffenden Mitteilung, wie früher ein Zugreisender nach Sauerstoff, wenn er endlich das Raucherabteil durchquert hatte. Zwei Aspekte an diesem gestatteten Einblick in die geheime Existenz meines Schutzbefohlenen, fand ich prioritär. Erstens, schön, dass auch andere neben mir es nicht schafften, an seinem von (unbewusster) Askese unterwandertem modischen Konzept – zwei Kapuzensweater, zwei Jeans, zwei T-Shirts – zu rütteln und mein Sohn zudem augenscheinlich keinen Wert darauf legte, tiefer als nötig in die gängige Schulhofbarbarei einzutauchen. Zweitens … Befremdung. Stellte sich ein, nachdem meine Freude darüber, dass sich seine Zimmertüre erst n.a.c.h. einem an mich gerichteten Wort schloss, von meinem dürstenden Herzen restlos einverleibt war. Befremdung über seine Unterscheidung zwischen der echten, wohl realen Welt und dem „Fortnite“ – Universum, aus dem die Berufsbezeichnung „Cheater“ meines Wissens stammt, mutet an, als ob er zwischen Erst- und Zweitwohnsitz differenzieren würde. Was er und seine Freunde ( alles YX-Varianten) auch in Wirklichkeit tun und uns Eltern genau dieses nach langer Kommunikationsabstinenz (seit der weiterführenden Schule) wieder miteinander ins Gespräch bringt.

Dieses „F“-Wort lässt zufällige Begegnungen mit Müttern und Vätern im Supermarkt wieder lebendig werden, man überzieht sich gegenseitig mit empathischem Austausch. Eltern, die man soweit aus den Augen verloren hatte, dass man deren Töchter und Söhne, dank Pubertät nicht mehr auf der Straße erkennt. Ebenso kann man auch mit Wildfremden, die mindestens einen Jugendlichen mit giftig grell leuchtender Gamer Tastatur und Headset zu ihren Mitbewohnern zählen, kurzum leidenschaftliche Nähe und tiefste Verbundenheit herstellen. Man hat also wieder ein bedeutendes Gesprächsthema in der unisono bewohnten „echten“ Welt.

Wir wachsen allesamt in etwas Neues hinein, und es hat den Anschein, dass unsere analog/digitale Mischspezies (Eltern vor Baujahr 1987) für diese Herausforderung momentan nur einen rostig klappernden Schlüsselbund in Händen halten, um die Tore wieder zu öffnen in Richtung Klarheit im Umgang mit unseren Kids und ihrem favorisierten Gamer Zuhause. Mit dem wir mit unserer gediegenen Homebase inclusive gemeinsam im Wohnzimmer verbrachten 007 Fernsehabenden oder in voller Familienbesetzung verrichteten Wanderungen im Grünen in Konkurrenz getreten sind.

Müssen wir nicht einschreiten und schwer einschätzbare Schäden von den zukünftigen Erwachsenen abwenden, die uns anvertraut sind? Sanktionen, Verbote, „Wenn-Dann-Deals“, Bestechungen, Drohungen? Die Fritzbox stundenweise sperren, mit dem Erfolg, dass die D-Natives im nächstbesten Forum nachforschen, wie man diese aushebelt und womöglich an Onlinepädophile geraten? Den Router vielleicht komplett abbauen und dann auf dem Nachhauseweg vom Büro in der Tram liegen lassen?

In welcher Welt leben wir Eltern denn tatsächlich, wenn wir vorausahnend von unterwegs daheim anrufen und unser Kommen ankündigen, damit der Nachwuchs die Chance hat, den aufgetragen Mülleimerleerdienst noch zu verrichten, so zu tun, als hätte er nicht die ganzen letzten Stunden mit seinen Kumpels am Rechner Angreifer plattgemacht und alles andere vergessen? Wir haben sie satt, die Beschwererei , das Klagen, unsere von Souveränität weitentfernte Machtlosigkeit, wir sind sogar im Überlebensmodus – raufen oder laufen, oder halt bis dahin, am Verschieben … Es berührt mich tief, wenn mein Sohn mir mit belegter Stimme erzählt, er sei traurig. Traurig, weil sein Rechner eine arge „Schnarchnase“ sei, mit dem er nicht mehr mithalten könne, mit seinen Freunden und es ihn schmerzt, nicht sein volles Potential und Können mit in den verbündeten Kampf für das Gute einzubringen in der Lage sei. Wenn er seine Bereitschaft signalisiert, für einen neuen Computer das erste Mal in seinem Leben auf sein Sparkonto zuzugreifen und nach Erhalt zu versprechen bereit ist, mindestens eine ganze Woche nicht zu zocken!?!

Also wälze ich viele Wahrheiten durch alles was in mir zum Fühlen und zum Denken imstande ist. Ich habe ja gar nicht gegen dieses Spiel, habe mich schlau gemacht und sogar am eigenen Leib erfahren – übrigens nach trefflicher Voraussage meines Sohnes, wie es ist, als Anfänger kaum sieben Sekunden auf Fortnite zu überleben. Vielleicht ist es ja auch gar nicht zu vergleichen mit der in meinem eigenen Spieltrieb mumifizierten Begeisterung damals für „Lara-Croft“? Das nach unzähligen durchspielten Tagen und Nächten wieder von meiner Festplatte verbannt wurde. Weil ich Angst bekommen habe vor Sucht, Isolation, Absturz, Wohnungslosigkeit! Nicht einmal der heftigste Liebeskummer nämlich, konnte mich als junge Frau so sehr in meinen eigenen vier Wänden einschweißen, wie das Gefühl, mit sexy Lara die Welt zu retten! Und…Achtung! Egogewohnheit. Meine Erfahrungen müssen nicht automatisch zu denen meines Sohnes werden! Mir wäre aber an der Vielfalt der richtigen Welt gelegen, die er kennen lernen und lieben soll, eine Balance zwischen Schein und Sein, dass er schlicht gerne sein eigenes Leben bewohnt. Nichts darunter!

Als ich zuhause ankomme, wuschele ich meinem Jungen durch die Haare, wie er da so liegt, mit seinem Tablet auf dem Bett. Er guckt Youtube Videos, immerhin welche in englischer Sprache, der spitze Ausschlag nach unten auf seiner Emotionskurve scheint verebbt. Die Mülltüte fläzt noch neben der Eingangstür, tippt ungeduldig klopfend, dunkelrot angelaufen, mit den Fingerspitzen aufs Parkett. Mir ist nun danach, einen so richtig großen Bogen zu spannen!

„Was, wenn Spiele wie Fortnite einen evolutionären Auftrag haben? Wenn hinter den Spieleentwicklern findige Wissenschaftler, Soziologen, medizinischer Forscher stecken, die eure Generation und damit auch die eurer Kinder und Kindeskinder darauf vorbereiten, mit kleinster Fläche und ohne Bedürfnis nach Außenwelt und Natur zurecht kommen zu können? Erfüllende Freundschaften im Netz, gemeinsames Erleben online reicht aus, um sich glücklich und zugehörig zu fühlen. Was viel Sinn machen würde, wenn man bedenkt, das meine, und die Generationen zuvor, es bald geschafft haben werden, euch den Planeten zu versauen.“ Die Mülltüte schiebt sich in meinen Blick und daran merke ich, dass ich wohl laut gedacht habe. War gar nicht meine Absicht. Neben mir springt es nun lebendig in die Höhe, stürzt voller Vitalität in die Turnschuhe und schnappt sich den gelben Müllsack. Der wieder still und harmlos in der Ecke steht. Bis sich „das Kind“ ihn schnappt und mit Grübchenlächeln und einem ernsthaften Schreck, den ich an den sich entspannenden Stirnfalten erkenne, ankündigt, noch eine Runde zu drehen. In der echten Welt! Vielleicht klingele er bei Leo, dem schade ein bisschen Frischluft ja schließlich auch nix.

Ich bin mir bewusst, dass ich nicht träume. Manchmal macht mich die eigene Not sogar schlau. Leben Sie schön, in allen möglichen Welten!