“ Heile, heile Gänschen, die Katz´, die hat ein Schwänzchen, heile, heile Mäusespeck, schon ist´s Aua wieder weg!“ Bei meinem Vierjährigen funktioniert diese Art des Tröstens wirklich nur noch so lálá, wenn er sich wehgetan hat. Je nach Ausmaß der Kollision mit der Feuerschutztür oder der Massivholzbücherwand, verlangt mein Nachwuchs dann umgehend nach Arnica – Globuli oder ruft in Erinnerung, dass wir einige Kühlkompressen unser eigen nennen, die im unteren Fach des Kühlschranks wohnen.
Womit überzeugen Sie Ihre „Sprösslinge“ nach dem „hinterrücksen“ Schubser im Kindergarten von Laila, beim letzten Außenbandriss vom Kicken, während der höllischen Virusgrippe, nach der scheußlichen Kränkung durch die engste Busenfreundin, beim alles verdüsternden Liebeskummer, dass “ Alles wieder gut werden wird?“
Wie kümmern Sie sich um Ihre eigenen Verwundungen, Kränkungen und erlittenen Traumen, wie sorgen Sie für Heilung? Wie wichtig ist es für unsere Kinder, dass wir unsere eigenen neurotischen Ecken ausräuchern? Ein Mittzwanziger aus meinem Bekanntenkreis hat dies erkannt und mich sehr damit beeindruckt. Der werdende Papa hat jetzt mit einer Psychotherapie begonnen. Er ist als kleiner Junge von seiner Mutter verlassen worden und will seinen gut versteckten Kummer so gut es geht heilen, um seinem eigenen Kind nichts Unbewusstes, Unerledigtes überzustülpen. Heilung aus Liebe und Verantwortung. Alle Achtung!
Unser Bedürfnis nach Heilung, dem ganz-bei-sich-sein-können ist tiefverwurzelt und archaisch, ein Grundpfeiler unserer Existenz. Solange diese Sehnsucht da ist, hat der Mensch Hoffnung und kämpft. Geht es doch um nicht weniger, als um die Wiederherstellung unserer seelischen und körperlichen Integrität im Leben, mitwachsend mit unseren Lebensjahren. Diese Eigenschaft haben die Menschen auch zwingend nötig, weil wir nicht den Vorzug genießen, im Garten Eden zu leben. Dieser Umstand sorgt auch dafür, dass neben nachweisbar wirkenden Heilmethoden für unsere vielfältigen Schmerzen, Erkrankungen, Verletzungen körperlicher und seelischer Art, das „Universum“ auch sonst noch viel Fantasie an den Tag legt. Ob man nun mit einem Geistheiler über tibetanische Höhen wandert, sich Kränkungen aus der Kindheit mit Auratango weg tanzt, sich mit Hilfe eines Allgäuer Propheten indianischer Herkunft in Schwitzhütten mit seiner zerstörerischen Partnerschaft aussöhnt oder ob man den Weißkitteln und allen anderen Therapeuten sein Leben anvertraut, entscheidet jeder für sich. Letztendlich geht es um Aufmerksamkeit, die man sich selbst gegenüber entgegenbringt und seinem Gefühl dabei traut. Bewusster Umgang mit dieser Vielfalt an Heilsversprechen, schadet keinesfalls.
„Zeit heilt alle Wunden“, diese grassierende Plattitüde bekommt man in – gelinde gesagt – aus der Balance gekippten Phasen des Lebens oft hingehalten. Selbst ein zerschmettertes Herz kann heilen, wenn man einen existentiell geliebten Menschen an den Tod abtreten musste. Nach und nach wächst ein dünnes, sensibles Häutchen über die klaffende Wunde, das bei der kleinsten gedankenlosen Bemerkung sofort wieder reißt. Mit der Zeit wird das Gewebe fester, haltbarer, aber die Narben werden bleiben. Wenn noch mehr Zeit vergangen ist, trägt man diese Narben mit Stolz. Sie werden das Geliebte nie vergessen lassen. Es ist also nicht die Zeit, die alle Wunden heilt, sie kann nur dabei helfen, zu lernen, mit dem Verlust wertvoll weiter zu leben. Das ist ein Unterschied.
Was ist, wenn Heilung nicht mehr möglich ist? Wenn unheilbare Erkrankungen in unsere Nähe kommen? Wie gehen wir damit um? Mit den Betroffenen, mit uns selbst, wie helfen wir unseren Kindern, wenn sich in unserem Dunstkreis ein Supergau ereignet? Auch hier kann man Menschen nicht laut und oft genug darin bestärken und ermutigen, tragfähige Netzwerke zu spinnen, sich schlau zu machen, wo Unterstützung herkommen kann!
Könnte es ein Trost sein, wenn schon körperliche Heilung nicht mehr möglich ist, die Heilung der Herzen und Psychen unter den zugehörigen Menschen zu versuchen? Lässt sich womöglich spirituelle Heilung durch den physischen Tod gar nicht aufhalten oder begrenzen? Was wissen wir schon!
Jedenfalls rückt sich Vieles wieder zurecht, nach überstandenen Krankheiten, nach dem zitternden Warten auf Diagnosen, die gottseidank glücklich ausfallen, nach nah miterlebten Gemeinheiten des Schicksals. Es tut einfach immer wieder gut, sich daran zu erinnern und dankbar zu sein, für alles, was ganz und „heile“ ist in unseren Leben. Und sich nicht abhalten zu lassen, es zu nehmen, wie es ist, genauso ehrlich die Notwendigkeit des eigenen „Opferstatus“ zu checken.
Schmerzen, Krankheit, Tod und Trauer sind unausweichlich. Leid ist womöglich nur eine Option. Leben Sie gut!