Ist es richtig, einen ganzen Tag zu verabscheuen, weil ein bestimmter Mensch darin nicht mehr vorkommt?
Kekse und Trost gäbe es ab sofort nicht mehr bei ihr. Sie liebe ihn. Er müsse endlich lernen, auf eigenen Füßen zu stehen!
Dass Henry unumwunden gleich einen Schritt weiter ging und mit dem Nudelsieb und der kompletten Homekinoanlage davon lief, war ganz und gar untypisch für ihn, brauchte er doch für gewöhnlich viele Einzelstationen bis zur Endhaltestelle. Nun quillt Henry Freiheit aus den Ohren und Manja stellt sich gleich selbst auf die Goldwaage. „Bisher war ich ein Flintenweib,
eine leidenschaftliche Jägerin, eine gesunde, erdbeerblonde Person, die jeden Kerl ermutigte, der mir über den Weg lief“.
Bevor Manja weiter sprechen konnte, musste ihr Schluchzen mit etwas Räuspern überdeckt werden. “ Soll ich nun von 15 Jahren Ehebett abbeißen?“
In ihrem Tagebuch landet mehr ohne ihn, als mit ihm. Diese Bilanz ist positiv. Manja schreibt:
Überschrift: Kosmische Transformation
Kann nicht glauben, dass ich das tue. Soo lange war ich jetzt schon hinter dem Ofen und jetzt sitze ich in der S-Bahn nach Wannsee. Unterwegs zur „Kosmische Transfusion“, Freud grüßt mich mit hämischem Lachen, „Transformation“ muss es heißen. Ehrlich…Hätte lieber einen Einlauf, statt eine Andere zu werden. Die Adresse habe ich von meiner Friseurin. Stecke in einer habschweren Krise. Nicht nur, weil Henry weg ist. Laut meiner Lockendreherin Hilda jedenfalls, brauche ich kein Botox, keinen 17-jährigen Stalker aus der Nachbarschaft und keine Haremshose … nur die Frau mit der Adresse am Wannsee!
Eine schmale Straße mit putzigen Reihenhäuschen. Vor der Nummer 24b. Ein goldenes Schild. Neben dem hölzernen Garagentor aufgehängt: „Kosmische Transformation“.
Kann nicht glauben, dass ich das tue. So viele Zeiten im Leerlauf durch mein Leben gestottert, manchmal Platz gemacht für ein WIR, schiebe ich meine Sitzhöcker auf einem joghurtweißen Gartenstuhl hin und her, halte eine eingeschweißte Plastikkarte in meiner linken Hand. Was darauf steht, habe ich schon wieder vergessen. Das Zimmer ist winzig, freundlich, lichtvoll. Eine Vase mit Lilien steht vor dem Fenster. Mir hat gefallen, dass ich nichts zu sagen brauche, nicht meine Situation erklären, keine Tragik offenbaren. Hat alle Infos. Kosmos. Ein bisschen möchte die Dame mit den auffallend türkisblauen Augen dann doch wissen. Nein, so ein Türkisblau schafft man mit keiner Kontaktlinse der Welt! Noch spüre ich nichts. Habe die Augen geschlossen. Wie lange muss ich noch so sitzen? Wie lange gedulde ich mich schon? Fast so, wie zu Hause beim Löcher-in-die-Luft-gucken, aber da erwarte ich auch nicht, dass etwas passiert. Spüre … nichts. Sollte ich mal die Augen aufmachen? Entscheide selbst! Langeweile. Mache sie jetzt auf. Blinzeln. Aha. Mein Gegenüber hat sie noch geschlossen. Gebe zwei Minuten drauf. Aha. Sie schaut mich an. Jemand mit solchen Killeraugen kann gar nicht anders, als besondere Fähigkeiten haben. Spüre nichts. „Sie sind noch nicht durch!“, beruhigt mich die Blauäugige mit gütigem Lächeln. Wie ein Kind möchte ich die Backen aufblasen und dann die Luft schnellen lassen. Wie ein Kind, das die Heimfahrt erhofft, aber noch bleiben muss. Augen also wieder zu. Spüre nichts. Wieder einmal ersehne ich Erlösung. Von irgendwoher. Von was auch immer. Allemal für 60 Euro, S-Bahnticket nicht mitgerechnet! Nolenz. Volenz. Da ist es ja. Es kommt. Ein Gefühl, ein die-Wendeltreppe- hoch-bugsiert- werden. Und wieder runter. Nun geht es mir gut, bin aufgeladen, schwirbelig. Die Tankstelle hat vermutlich jeder bei sich zu Hause. Nach einer Woche, immer noch Manja, Manja ohne Henry. Trotzdem! Leben! Statt Vorhölle. Geb` ich mir in Zukunft für umsonst!
Keine weitere Einträge. Dafür Tiefkühlfach abgetaut.