Eine feine Disziplin war es im Laufe der Jahre geworden. Ihre Schönheit in Demut ertragen und aushalten zu können. Und vielleicht sogar, nach ein wenig Übung, diese Herrlichkeiten zu genießen, ohne Angst zu haben. Kräftig aufstampfen, die Vorübergehenden, die mit ihren bewundernden Blicken an ihr hängen bleiben, als Zugabe mit Charme und Freundlichkeit zu überziehen. Kostenlos, einfach nur aus Freude daran, da zu sein. Mit einem winzigen Lachen kurz in deren Augenblicken auszuruhen, ohne dass sie sich je an Mascha erinnern müssten.

Woher kam nur ihr Wackelkontakt zum Leben, warum flutschte ihr der Stecker immer wieder aus der Dose und weshalb musste sich Mascha in grausamer Regelmäßigkeit inwendig befragen, ob ihre Aufenthaltsgenehmigung noch gilt?

Der Psychiater hätte vielleicht sogar Antworten, aber er stellt die falschen Fragen.

Weil sie ein Zwilling war. Großtante Mirabelle hatte es ihr beim Heidelbeersouffle in der Gartenlaube wie einen nassen Handschuh entgegen geworfen. Weil die sich in den Finger schnitt. Beim geringsten Schmerz reagierte Mirabelle über, verlor sie sich blitzschnell in ordinären Hasstiraden. So als könne sie diese unpassende Empfindung damit ungeschehen machen. Oder es verschaffte ihr auf mysteriöse Weise Linderung, sich beim Universum gegen jedwede Grobheit, die ihr zufiel, lautstark und unmissverständlich zu beschweren.

Ganz vorzüglich wirkte es jedoch gegen ihren Schmerz an, bei so einer Gelegenheit einen anderen Menschen aufs Tiefste zu erschüttern.

Regelrecht erdrückt habe Mascha ihre Schwester im Mutterleib. Raum, Nahrung und Sauerstoff an sich gerissen, der kleinere, schwächere Zwilling hatte nicht das Lüftchen einer Chance. Mirabelle ging in ihren abseitigen Ausführungen spazieren.

Die arme Mutter musste beide austragen und gebären, den lebenden und den toten Zwilling. Was für Neuigkeiten für Mirabelle´s Großnichte! Zwei Tage vor ihrem 21. Geburtstag. Den sie ab sofort immer wird teilen müssen. Wegen eines in bester Absicht geschärften Messers.

Dunkle Schatten, die am Rand ausfransen. Alles Licht in sich verschlingen.

Fortsetzung folgt ….